Coming to Terms With the Armenian Genocide: 100 Years On

Coming to Terms With the Armenian Genocide: 100 Years On

Organizer(s)
Institut für Turkistik, Universität Duisburg-Essen; Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI)
Location
Essen
Country
Germany
From - Until
18.06.2015 - 19.06.2015
Conf. Website
By
Hüseyin I. Cicek, Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Das Institut für Turkistik der Universität Duisburg-Essen organisierte in Kooperation mit dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) einen internationalen Workshop zum Genozid an den osmanischen Armeniern. Kader Konuk und Volker M. Heins luden internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu einer Diskussion über die Aufarbeitung des Armenischen Völkermords ein. Bereits in ihrem Buch „East West Mimesis: Auerbach in Turkey“ (Stanford University Press 2010), das die Exilgeschichte des Marburger Professors Erich Auerbach sowie seine in der Türkei entstandenen wissenschaftlichen Werke analysiert und parallel dazu die nationalistisch-rassistische Politik der jungen türkischen Republik in den 1920er- und 1930er-Jahren gegenüber Minderheiten in der Türkei untersucht, verwies Konuk darauf, dass die türkisch-republikanische Identitätspolitik gezielt die facettenreiche und vielfältige ethnische Zusammensetzung des Osmanischen Reiches ausblendete. In der Folge der Reformbewegung wurde die Geschichte Anatoliens türkisiert. Die staatlich konzipierte und gelenkte Geschichtsschreibung hatte unter anderem zwei Ziele: a) eine Zäsur zum Osmanischen Reich (als islamisch geprägte Kultur) zu setzen; und b) die Türkei als einen ethnisch homogenen, monolingualen Staat zu konsolidieren.

Bis heute erkennt der türkische Staat offiziell den Genozid an den Armeniern nicht an. Der Essener Workshop mit nationalen und internationalen Experten widmete sich dem Armenischen Genozid aus interdisziplinärer Perspektive und bettete das Geschehen in einen breiten historischen Kontext.

Den Eröffnungsvortrag hielt die Soziologin FATMA MÜGE GÖÇEK (University of Michigan). Ihre Ausführungen zum Thema basierten auf ihrem kürzlich erschienenen Buch „Denial of Violence: Ottoman Past, Turkish Present and the Collective Violence against the Armenians, 1789-2009“ (Oxford University Press, 2014). Ihr Vortrag widmete sich der Verleugnung des Genozids sowie den Memoiren (nach eigenen Angaben analysierte sie mehr als 700 Memoiren) türkischer Akteure und Zeitzeugen. Die offizielle türkische Politik ab 1923 präsentierte sich der eigenen Bevölkerung gegenüber in der Öffentlichkeit als Opfer imperialistisch-europäischer Mächte und wies jedwede Verantwortung für die Ermordung der armenischen Bevölkerung von sich. Göçek diskutierte die Rolle einflussreicher türkischer Politiker in den Gründungsjahren der türkischen Republik, wie etwa die des Ismet Inönü. Der Eröffnungsvortrag führte aus, wie die kollektive Gewalt in der osmanischen Geschichte gezielt als eine Konstruktion imperialistischer Mächte dargestellt wurde.

Im ersten Panel der Konferenz mit dem Titel „Facing the Past in Turkey“ widmeten sich der Soziologe OHANNES KILIÇDAĞI (Bilgi Üniversitesi), die Journalistin und Schriftstellerin KARIN KARAKAŞLI (Agos, Istanbul) und der Politologe BURAK ÇOPUR (Duisburg-Essen) aus unterschiedlichen Perspektiven dem Thema. Kılıçdağı versuchte anhand der beiden armenischen Vereinigungen Daschnak und Huntschak die armenischen Perspektiven am Vorabend des Genozids nachzuzeichnen. Die beiden genannten Gruppen wurden von armenischen Intellektuellen gegründet und unterschieden sich im Vorgehen sowie in den politischen Zielen voneinander. Kılıçdağı erläuterte, dass sich Mitglieder der Dashnak Partei bereiterklärten, mit den Jungtürken über gemeinsame Ziele zu beraten, während sich Mitglieder der Huntschak massiv dagegen aussprachen. Autonome armenische Regionen in Anatolien bis hin zur freien Sprach- und Kulturpolitik standen auf der politischen Agenda beider Gruppen. Die rigide Politik von Abdülhamid II. und der Jungtürken führte dazu, dass sich die Fronten zwischen den Lagern massiv verhärteten und kein Konsens mehr erreicht werden konnte.

Karakaşlı referierte über den Journalisten und Aktivisten Hrant Dink, der das Geschehen von 1915 als Genozid bezeichnete und von einem türkischen Nationalisten vor seinem Istanbuler Büro ermordet wurde. Obwohl einige Hintermänner der Tat bekannt sind, unterließ es die türkische Justiz bis heute, diese zur Rechenschaft zu ziehen. Karakaşlı erläuterte, dass die Leugnung der offiziellen türkischen Politik gegenüber den Ereignissen von 1915 den Weg für eine Versöhnung verstellt. Nichtsdestotrotz verwies die Agos-Journalistin dagegen auf die wachsende türkische Zivilgesellschaft, die sich explizit dafür einsetzt, die Geschichte der Republik sowie von 1915 kritisch aufzuarbeiten.

Çopur widmete sich in seinem Vortrag der Kritik des türkischen Staates am Begriff Genozid sowie den generellen Auseinandersetzungen mit der Terminologie. Der Begriff wurde nach dem Ersten Weltkrieg entwickelt und wird von der Regierung in Ankara nicht akzeptiert. Abgesehen von begrifflichen Differenzen forderte Çopur, dass sich die Geschichte bzw. die Aufarbeitung des Genozids nicht nur auf Täter und Opfer beschränken solle, sondern auch die Rolle der sogenannten türkischen „Oskar Schindlers“ würdigen solle, die armenische Osmanen vor der willkürlichen Gewalt ihrer Mitbürger schützten.

Der Leiter des Lepsius-Archivs ROLF HOSFELD (Potsdam) diskutierte im zweiten Panel die Rolle der deutschen Politik und erläuterte die internationale Realpolitik. Auch wenn deutsche Politiker bzw. Staatsmänner das Geschehen verurteilten, so waren sie ebenso der Meinung, dass die Ereignisse „hart aber nützlich“ gewesen seien. Vor allem die Interessenspolitik des Zarenreiches, des Deutschen Reiches sowie der Briten – um nur drei Akteure zu nennen – waren dafür verantwortlich, dass die internationale Gemeinschaft das Geschehen „akzeptierte“. Gleichzeitig übte laut Hosfeld der Genozid an den Armeniern eine besondere Faszination auf die Nationalsozialisten aus. Im „Stürmer“ und anderen Zeitungen der Nazis wurde das Verbrechen von 1915 mit Blick auf die notwendige Homogenisierung des deutschen Volkes legitimiert und die Verantwortlichen als Vorbilder für die eigenen Verbrechen herangezogen.

Der Historiker STEFAN IHRIG (Jerusalem) näherte sich dem Thema mit Blick auf die Ermordung von Talat Pascha in Berlin. Ihrig kategorisiert den Gerichtsprozess als das erste große Medienereignis um das Geschehen von 1915. Während die deutsche Öffentlichkeit den Genozid im Laufe des Weltkrieges und bis zur Ermordung von Talat Pascha als eine notwendige Kriegsmaßnahme verbuchte, so änderte der Prozess den Blick sowie die Wahrnehmung auf Vernichtungsakt. Die Zeugenaussagen während der Gerichtsverhandlung machten nicht nur die „Komplizenschaft“ des Deutschen Reiches deutlich, sondern das Geschehen sorgte dafür, dass die breite deutsche Öffentlichkeit über die „Vernichtungsabsicht“ der osmanischen Machthaber informiert wurde.

Der Historiker MARC BAER (London) referierte über die Erinnerungen türkischer Akademiker, die während des Nazi-Regimes in Deutschland studierten. Baer analysierte anhand von Tagebüchern, Briefen etc., welchen Eindruck die systematische Judenverfolgung ab 1938 auf die türkischen Studierenden gemacht hatte. Viele türkische Akademiker, so Baer, hätten über die „Verwechslung“ mit Juden geklagt, zumal sich manche Kommilitonen aus der kemalistischen Republik aufgrund von phänotypischen Merkmalen in Parallelen mit der jüdischen Bevölkerung erleben mussten. Explizit verwies Baer auf die Rassenpolitik der Türkei während der 1920er- sowie 1930er-Jahre, die die Türken als „weiß“ sowie „europäisch“ auswies und somit zur ideologischen Solidarisierung türkischer Akademiker mit der Nazi-Rassentheorie insinuierte. Gleichzeitig distanzierten sich einige türkische Studenten von türkischen Juden in Deutschland, zumal sie letztere nicht als legitime türkische Staatsbürger anerkennen wollten. Baer zeigte in seinem Vortrag, dass die türkischen Akademiker ihre eigene Geschichte kaum kritisch analysierten und die Türkei sowie das Osmanische Reich als Opfer imperialistischer Mächte zeichneten. Letzteres war auch ein wichtiges Argument der Nationalsozialisten, die die Juden der Verschwörung gegen das Deutsche Reich bezichtigten und somit ihre systematische Ermordung argumentierten.

Die Konferenz beendeten die Vorträge der Anthropologin Alice von Biebersteins (Cambridge University) und der Literaturwissenschaftlerin Kader Konuk zu den Erinnerungsdiskursen in Deutschland, die der Reflexion über transnationale Erinnerungsgemeinschaften diente. Im Abschlussvortrag referierte die Kulturwissenschaftlerin MEYDA YEĞENOĞLU (Bilgi Üniversitesi) zu der Frage der Erbschaft eines nationalen Traumas und regte zu einer hitzigen Debatte über mögliche Positionen beim Akt des Erinnerns an.

Konferenzübersicht:

Welcome and Introduction

Volker Heins (KWI Essen) / Kader Konuk (Institut für Turkistik, Universität Duisburg-Essen)

Opening Keynote

Fatma Müge Göçek (Sociology, University of Michigan): Denial of Violence: Ottoman Past, Turkish Present and the Collective Violence against the Armenians, 1789–2009

Moderator: Kader Konuk (Institut für Turkistik, Universität Duisburg-Essen)

Panel I: Facing the Past in Turkey
Moderator: Christian Gudehus (Ruhr-Universität Bochum)

Ohannes Kılıçdağı (Sociology, Bilgi Üniversitesi): Spoiled Seeds of another History that Never Unfolded: Discourse and Demands of Armenian Political Movement in the Ottoman Empire after 1908

Karin Karakaşlı (Agos, Journalist): From Past to Present: Turkish Armenians, Armenian Identity, and Genocide

Burak Çopur (Political Science, Universität Duisburg-Essen): The Current Debate about the Armenian Genocide in Turkey

Panel II: The German Context
Moderator: Marcel Siepmann (KWI Essen)

Rolf Hosfeld (Cultural History, Lepsius-Archive Potsdam): The Armenian Genocide and the Germans. WWI and Today

Stefan Ihrig (History, Van Leer Jerusalem Institute): Genocide denied, accepted, and justified – The assassination of Talât Pasha and the trial of his assassin as a media event in the early Weimar Republic

Marc Baer (London School of Economics and Political Science): Promoting Myths about Turkish Jews, Denying Armenian Genocide: The Muslim-Jewish Alliance of Interests, from 1892 to today

Panel III: Narrating the Genocide
Moderator: Volker Heins (KWI Essen)

Alice von Bieberstein (Anthropology, Cambridge University): Not a National Past to be Reckoned with: The Armenian Genocide in Contemporary Germany

Kader Konuk (Institut für Turkistik, Universität Duisburg-Essen): Literary Crossroads between the Mets Yeghern and the Shoah

Kristin Platt (Zentrum für Diaspora- und Genozidforschung, Ruhr-Universität Bochum): Retelling “home”: Trauma narratives and non-narratives in autobiographical testimonies of Armenian survivors

Closing Keynote

Meyda Yeğenoglu (Cultural Studies, Bilgi Üniversitesi): Inheriting a Violent Past and How to Mourn for the Armenian Loss


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